Partizipation – „Dürfen Kinder jetzt alles machen?“
In der Praxis begegnet mir diese Sorge der Pädagog*innen oft, wenn es um das Thema Partizipation geht. Ebenso, die oft gestellte Frage: „Brauchen wir jetzt ein Kinderparlament?“ Beide Fragen beantworte ich dann erst einmal mit „Nein.“ Das Kinderparlament steht für mich ganz am Ende des Weges. Nämlich dann, wenn sich alle auf den Weg gemacht haben, sich die Haltung der Partizipation etabliert hat und das Kinderparlament „nur“ noch der nächste logische Schritt ist.
Partizipation ist ein Teamentwicklungsprozess
Vorher jedoch findet erst einmal viel Arbeit statt. Ein Team, dass sich auf den Weg der Partizipation macht, durchläuft einen Prozess der Weiterentwicklung. Das Ergebnis, dieses Aushandlungsprozesses, ist die Dokumentation der Beteilingungsrechte von Kindern, pädagogischer Fachkräfte und Eltern in der Kita.
Was heißt Partizipation?
»Partizipation heißt, Entscheidungen, die das eigene Leben und das Leben der Gemeinschaft betreffen, zu teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden«
(Schröder 1995, S.14)
In meinen Workshops und Prozessbegleitungen schauen wir uns diese Definition genauer an. Denn im Team gilt es hier zu überlegen, was bedeutet es denn genau „Entscheidungen für das eigene Leben“ zu treffen, und welche Entscheidungen betreffen das Leben der Gemeinschaft. Und natürlich geht es immer auch darum gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden. In der Definition von Schröder, stecken die Rechte auf Selbstbestimmung, Mitbestimmung, also Teilhabe und das Recht, sich zu beschweren. Gleichzeitig das Recht auf Information. Denn damit ich mitentscheiden kann, muss ich über die Themen, die ich mitentscheide, informiert werden. Zugleich ist es wichtig, die Beteiligungsrechte der Kinder schriftlich zu verankern.
Partizipation ist kein „Nice to have“
Partizipation ist ein Kinderrecht. Dieses Kinderrecht der Beteiligung von Kindern finden wir auch im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII). In § 8 zum Beispiel ist geregelt, dass Kinder und Jugendliche „entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen sind“ (SGB VIII). In § 45 wird das Partizipations- und Beschwerderecht der Kinder zur Grundlage der Betriebsgenehmigung einer Einrichtung. Es ist also keine Angelegenheit, die man mal mit den Kindern machen kann, sondern ein gesetzlich verankertes Recht. Es ist auch nichts, was man hübsch formuliert in die pädagogische Kita-Konzeption aufnimmt, nur weil es da drin stehen muss. Partizipation ist ein Aushandlungsprozess, eine Haltung und fängt im Kopf an. Der Weg dorthin manchmal mühsam, manchmal leicht, manchmal steinig und steil.
Denn es geht darum sich selbst, sich als Team, die pädagogische Haltung, die Beziehung zu den Kindern zu reflektieren und Macht abzugeben.
Die Macht der Pädagogen oder alles abhängig vom Goodwill Einzelner?
Macht ein Team sich ernsthaft auf den Weg zu mehr Beteiligung der Kinder in der Einrichtung, dann muss es sich mit dem Thema Macht auseinandersetzen. Bereits Janusz Korczak hat darauf hingewiesen, dass
„das Kind ein Recht darauf hat, dass seine Angelegenheit ernsthaft behandelt und berührend bedacht wird. Bis jetzt hing alles vom guten Willen und von der guten oder schlechten Laune des Erziehers ab. Das Kind war nicht berechtigt, Einspruch zu erheben. Dieser Despotismus muss ein Ende haben.“
Janusz Korczak
Beispiel 1
Jetzt mal Hand auf’s Herz, wie oft entscheiden wir im Alltag etwas für Kinder, anstatt sie nach ihrer Meinung und Lösungswegen zu fragen? Als ich angefangen hatte, mich mit dem Thema Partizipation intensiver auseinanderzusetzen, kam ich auch ganz schnell auf die heiklen Themen im Alltag.
Ich gebe es ehrlich zu, als Erzieherin habe ich zum Beispiel oft entschieden, wer neben wem sitzt. Ohne den Kindern die Chance zu geben ernsthaft an ihrem Verhalten zu arbeiten. Das können sie jedoch nur, wenn man mit ihnen in Aushandlungsprozesse geht, wenn man sie an den Entscheidungen beteiligt. Wenn wir Kinder zugestehen, dass sie im Stuhlkreis und beim Essen aussuchen dürfen neben wem sie sitzen möchten, dann müssen wir mit ihnen auch Formen finden in denen geregelt ist, wie wir miteinander umgehen, wenn es mit dem besten Freund, der besten Freundin nicht funktioniert. Dann müssen wir mit den beteiligten Kindern zusammen Lösungen suchen und aushandeln. Wenn es heute nicht klappt, dass die beiden nebeneinander sitzen, dann klappt es vielleicht morgen. Aber eines Tages ganz gewiss. Und diese Chance sollten Kinder haben.
Beispiel 2
Meine Zeit als aktive Erzieherin ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ich möchte Ihnen noch ein Beispiel aus der Praxis geben. In unserer Kita war es üblich, dass wir Donnerstags und Freitags für die Kinder selbst gekocht haben. Wir waren eine dreigruppige Kita, das bedeutete, alle drei Wochen war eine Gruppe mit Kochen dran. Alle drei Wochen durften also Kinder Haupt- und Nachspeise zubereiten. Die Auswahl der Speisen entschieden meist wir Erzieherinnen. Ganz selten wurden die Kinder befragt, was sie denn gerne essen möchten. Es scheint allerdings so, dass wir den Geschmack der Kinder oft getroffen haben. Zeitweise kochten wir für 75 Kinder.
Anhand von fotografierten Speisen oder ausgelegten Rezeptbüchern mit Bilder, hätten wir die Kinder beteiligen können. Sie hätten anhand der Bilder auswählen können, was gekocht wird. Damit hätten wir die Entscheidungsmacht abgegeben zu wissen, was Kindern schmeckt.
Entscheidungsmacht abgeben
Es geht darum, dass wir Erwachsene Entscheidungsmacht an die Kinder abgeben. Das heißt aber nicht, dass wir komplett auf diese verzichten. Daher gilt es zu reflektieren und auszuhandeln, wie und wo wir Pädagogen Macht abgeben. Wie und wo behalten wir ein Vetorecht. Was entscheiden weiterhin wir als Team. Dies ist ein Aushandlungsprozess, der in einer Kitaverfassung niedergeschrieben wird. Damit die Regeln und Grenzen für alle klar sind. Das heißt nicht, dass diese dann in Stein gemeißelt sind. Die Erfahrung hat gezeigt, hat sich ein Team erst einmal auf den Weg gemacht und werden die Kinder beteiligt. Haben auch sie, durch ihre Stimmen, ein Mitbestimmungsrecht und manche Regel, die für uns klar ist, ist im Alltag nicht immer umsetzbar. Dann gilt es in einen Aushandlungsprozess mit den Kindern zu gehen.
Auf dem Weg zur Partizipation
Der Weg zu einer partizipativen Kita ist erst einmal ein Teamprozess. Der sehr intensiv sein kann. Erst wenn sich das Team einig ist, werden die Eltern darüber informiert, dass sie die Kinder ab jetzt bei bestimmten Themen mit- bzw. selbstbestimmen lassen.
Wenn Sie zum Beispiel im Team zu dem Schluss kommen, das zukünftig die Kinder entscheiden, ob sie eine Jacke anziehen oder eine Matschhose, wenn sie nach draußen gehen, dann müssen darüber auch die Eltern informiert werden.
Das heißt, wenn sie die Eltern mit ins Boot holen, dann sollten sie im Team relativ klar festgelegt haben, wo die Kinder im Alltag Mit- und Selbstbestimmungsrechte haben.
Sich den Tagesablauf genauer anzuschauen und Punkt für Punkt zu analysieren, hilft Beteiligungsmöglichkeiten aufzuspüren. Zum Beispiel können Sie überlegen, welche Beteiligungsmöglichkeiten es beim Mittagessen oder Frühstück gibt. Wer alles beteiligt ist (Kind, päd. Fk, Kind+päd. Fk, Eltern, Sonstige). Das Ergebnis wird dokumentiert und Regeln daraus abgeleitet.
Knackpunkte
Hier können ganz schnell Knackpunkte entstehen, wenn es dazu unterschiedliche Meinungen im Team gibt. Wichtig ist, dass das Team einen Konsens erzielt, wenigstens jedoch einen sehr guten Kompromiss. Denn, die hier getroffenen Entscheidungen, sollte jeder im Team nach außen vertreten können.
Probelauf und Reflexionsphasen
Stellen wir uns vor Sie haben im Team entschieden, Sie möchten den Kindern, zum Beispiel beim Mittagessen, mehr Beteiligungsrechte einräumen. Etwas, was unter Umständen jahrelang mehr oder weniger gut funktioniert hat, stellt sich nicht von selbst, und nur weil wir es wollen, von alleine um. Es braucht Zeit.
Nehmen Sie sich im Team die Zeit für eine Erprobungsphase. Beispielsweise über einen konkreten Zeitrahmen von drei Monaten. Danach, aber auch zwischendrin, sollten Sie im Team immer wieder einmal Reflexionsphasen einlegen. Wichtig: Legen Sie dafür Termine fest und halten Sie diese Termine frei von Organisatorischen Themen des Alltags. Überlegen Sie gemeinsam, was gut funktioniert, was Sie beibehalten möchten, wo hat es Optimierungsbedarf. Nach und nach können so alle Bereiche nach Beteiligungsmöglichkeiten analysiert und verändert werden.
Auf diese Weise entwickelt sich Ihre Kita Schritt für Schritt zu einer Kita mit gelebter Partizipation.